23. Oktober 2016
Ich habe mich schon lange darauf gefreut, mit Nessi zum Bikefitting zu fahren. Ein halbes Jahr, um genau zu sein, denn Ralf, der Bikefitting Kerken betreibt, hat ziemlich gut zu tun. Ein bisschen habe ich auch Angst. Was, wenn er sagt "Nützt alles nichts, aber für die perfekte Einstellung ist dir dein Rennrad zu groß"?
Das hatte damals ja schon der Fahrradhändler angedeutet, der Nessi kurz nach dem Kauf einen kürzeren Vorbau verpasste. Inzwischen trägt sie sogar einen noch kürzeren, der irgendwie suboptimal aussieht. Mareike sagt, dass D. sagt, dass das fürs bergab fahren auch gefährlich sei (Was Ralf später bestätigt. Für die Gabel sei es auch nicht gut).
Ich rolle Nessi in Ralfs Fahrradzimmer, das mit einem riesigen Monitor und unzähligen, übersichtlich angeordneten Werkzeugen und Messgeräten ausgestattet ist. Außerdem gibt es Kaffee, Kekse und mehrere Jahrgänge Fahrradzeitschriften. Er schaut mich an, dann Nessi und hat noch kein einziges Maßband oder anderes device zur Hand genommen. Dann schüttelt er den Kopf. "Das ist zu groß", sagt er. Schockschluck! Nessi! "Aber wir gucken uns das jetzt alles mal genau an."
Zu diesem Behufe muss ich ein paar gymnastische Übungen machen. Den Boden mit den Händen berühren, die Knie zur Nase ziehen. Damit er meine Beweglichkeit einschätzen kann. Ralf ist sehr zufrieden mit meinen Yoga-Verrenkungen und lobt meine Sportlichkeit. "Kannst ruhig tief fahren", meint er. Ich wachse vor Stolz. Hilft aber nichts, denn beim Messen komme ich trotzdem nicht auf die von mir großspurig angekündigten 1,70. Es bleibt bei 1,69 m. Eventuell Komma Fünf. Ich bin entlarvt.
Dann misst er auch meine Arm-, Rumpf- und Schulterlänge aus, alles zwei Mal, zur Sicherheit, und trägt die Ergebnisse in das seitenlange Datenblatt in seinem Computer ein. Schließlich muss ich mich auf ein blaues, seltsames Gelkissen setzen. Der Po-Abdruck verrät die Beckenknochen-Maße und somit die optimale Sattelbreite. Es stellt sich heraus, dass mein optimaler Sattel ein Sessel ist.
"Das ist in der Tat sehr, äh, breit", sagt Ralf und schaut noch einmal ungläubig zwischen Gel-Po-Messkissen und meinem Hinterteil hin und her. Aber das Gel-Po-Messkissen lügt nie, und er fügt den Wert dem Datenblatt hinzu.
Jetzt reicht Ralf mir einen Hocker, dessen Sitzfläche ein Sattel und dessen Stange nach oben und unten verschiebbar ist. Ich klemme ihn mir also zwischen die Beine, und Ralf liest an der Zentimeterskala der Stange meine Schrittlänge ab. "Oh", sagt er in einem "Na das kann ja heiter werden"-Tonfall.
Mit einer Schrittlänge von knapp 86 cm sprenge ich die Tabelle der Körperproportionen. Ich bin ein Langbeiner, und das tröstet mich ein bisschen über meine nicht erreichten 1,70 m hinweg. Jetzt nimmt Ralf Nessi genau unter die Lupe und vermisst sie ebenso gründlich wie mich. Außerdem lobt er ihre Ausstattung.
Dann darf ich mich auf Nessi setzen und losradeln. Auf dem Monitor erscheinen Trittfrequenz, Durchschnittsgeschwindigkeit und allerlei andere coolen Anzeigen. Außerdem könnte ich Tour de France und Rennen gegen andere Freunde (mit dem gleichen Programm zuhause) wählen. So eine Art Nintendo für Rennradler. Ich bin begeistert und lege mich voll ins Zeug.
Während ich völlig angefixt vor mich hinkurbele, nimmt Ralf massenweise Messungen vor. Das Gitter an der Wand hinter mir dient dabei übrigens als Referenz.
Das ist sein Fazit: "Auf dem Foto erkennst du die deutlich zu tiefe und zu weit nach hinten versetzte Sitzposition. Deine Arme sind gestreckt. Deine Schultern sind nach vorne gezogen, und dein Lenker ist viel zu breit. Die Unterlenker-Haltung ist kaum möglich, da der Drop und der Reach für dich zu groß sind."
Fakt ist: Nessi und ich sind ein tolles Team, schließlich sind wir tagelang zusammen über die Alpen gefahren. Doch ich bekomme schnell Nackenschmerzen, und im Unterlenker bin ich tatsächlich noch nie gefahren, weil dann alles schmerzt. Der Po macht keine Probleme - allerdings weiß ich ja auch nicht, wie es sich anfühlt, wenn alles "richtig" ist. Was wirklich problematisch ist: entspannt bremsen oder die Hände auf die Bremshörnchen legen. Vor allem das Fahren in der Gruppe ist deshalb für mich anstrengend und geht auf die Schulterpartie.
Mit einem richtig eingestellten Rad würde ich "locker" zwei Kilometer pro Stunde schneller, sagt Ralf. Ohne Körpereinsatz, nur aufgrund der Einstellung! Ich sehe mich Jochs und Pässe, Ventouxs und Glabbacher Höhen hinauffliegen und stelle mir vor, wie C. mir gleichermaßen frustriert und bewundernd hinterher schaut.
Zu groß ist zu groß, darum gibt es nicht viel zu fitten. Ralf schraubt Nessis Sattel ein paar Meter nach oben und kippt ihn leicht nach vorn. Und er bietet mir an, dass ich mit einem neuen Rad wieder zu ihm kommen darf, um diesen Bikefitting-Termin quasi zu vollenden. Außerdem kann ich mich vor einem eventuellen Kauf gern an ihn wenden, für eine Einschätzung. Er mailt mir später noch das lange Datenblatt zu, inklusive Empfehlungen für die richtige Radgröße, Lenker- und Sattelbreite und Fotos.
Natürlich habe ich mir diesen Termin ein bisschen anders vorgestellt. Nämlich dass Nessi und ich zu einer Einheit verschmelzen, die megaentspannt Bestzeiten erradelt. Doch weil ich Rennrad fahren einfach liebe, wird es über kurz oder lang auch auf ein neues Rad hinauslaufen. In Bezug auf Nessi betrübt mich das sehr. Aber es eilt ja nicht, und wir radeln an diesem kühl-sonnigen Spätsommerabend trotzdem ganz entspannt nach Hause.
P.S. Ralf rät
- Rahmenhöhe 52 bis 54 cm
- Oberrohrlänge: 520 mm bis 535 mm
- Lenkrohrlänge: ca. 140 mm, min 135 mm, mit Spacern zu erweitern.
- Komfortgeometrie
- Hat jemand von Euch zufällig etwas Passendes zu verkaufen? Meldet Euch gern! (Entschuldige, Nessi)
P.P.S. Tiersichtungen
- keine, wegen Tränenschleier