Ich mache eine Ausnahme

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Ich bin ein echtes Glückskind. Im letzten Sommer habe ich bei einem Gewinnspiel auf Facebook einen Startplatz für den Rotterdam Marathon 2018 gewonnen – inklusive Leistungsdiagnostik, Trainingsplan und Ausstattung mit tollen Klamotten von New Balance und Laufsport Bunert. Hurra! Wie cool!

Was ich nicht bedacht habe: Marathonvorbereitung findet nicht auf dem Rennrad statt. Außerdem ist sie anstrengend und zeitintensiv. "Jetzt heißt es wohl 'Quäl dich, du Sau!'", denke ich, als ich meinen meterlangen Trainingsplan an den Kühlschrank klebe. Das findet auch der beste Läufer der Welt, Ehrenflamingo Martin. Ich hege den Verdacht, dass es ihm a) große Freude bereitet, mir bei der Umsetzung der Trainingskilometer behilflich zu sein und b) mich dabei leiden zu sehen.

 

Seit ein paar Monaten verläuft mein Leben nach Plan.

 

Zu meinem großen Bedauern lässt er keine einzige meiner ständigen und sehr kreativen Ausreden, warum das Training heute unbedingt ausfallen muss, gelten.
"Zu dunkel!" – "Super, dann kriegen wir keinen Sonnenbrand."
"Es regnet!" – "Die meisten Tropfen fallen daneben."
"Zu kalt!" – "Dann trainierst du nicht hart genug."
Kurz gesagt: Ich profitiere enorm von Ehrenflamingo Martins Laufenthusiasmus und seiner Erfahrung.

Außerdem kommt mir während meiner Marathonvorbereitung zugute, dass C. Lehrer ist. Ihn haut nichts um, und sogar Engel beneiden ihn ob seiner Geduld. Das ist sehr praktisch. Zum Beispiel, wenn ich abends nach Hause komme und direkt meine Laufklamotten anziehe, anstatt mit ihm und unserer Gasttochter zu kochen. "Nur rasch ein bisschen Fartlek in hügeligem Gelände", sage ich und verschwinde mit Ehrenflamingo Martin auf niederrheinische Feldwege. Wenn ich dann eine Stunde später – geplättet, ausgehungert, muskelverkatert – zuhause auftauche, steht das Essen auf dem gedeckten Tisch.

 

Gleich fließt Blut. Wegen der Leistungsdiagnostik.

 

Meine Erwartungen: Als ich im Juli die frohe Botschaft erhielt, eine von den "Dein erster Marathon"-Gewinnerinnen zu sein, malte ich mir mein tägliches Training aus: in fantastischen Sportklamotten schwebe ich mühelos und in vorbildlicher Lauftechnik kilometerweit über Straßen und Wege. Im Sonnenschein, versteht sich. Vögel singen. Menschen am Wegesrand klatschen Beifall. Mein perfekt frisiertes Haar flattert leicht im Wind, eine sanfte Röte umschmeichelt meine Wangen, und ein zufriedenes Lächeln ob meiner Tüchtigkeit umspielt meine Mundwinkel. Ich bin das fleischgewordene Model aller Laufmagazine, die neue Lauf-Fluencerin am Instagram-Himmel. Jaaaa! Herrlich wird das!

 

Immerhin: die Stimmung in unserer Marathon-Truppe ist fantastisch.

 

Reality-Check: Im Dezember ist es um 18 Uhr sehr dunkel. Nach Hause geradelt, im bescheuerten Regen klatschnass geworden und fast erfroren. C. liegt auf dem Sofa und netflixt. Umziehen. Lampen und Reflektorgedöns anschnallen. Weinen. Gleich kommt Martin. 75 Minuten GA1. Es gibt kein Entrinnen. Ich platsche in Pfützen. Da vorne ist Schlamm. Im Lauf-Delirium male ich mir aus: "Wenn ich darin versinke und umknicke, dann muss C. mich abholen und die Qualen haben ein Ende." Aber ich werde nur dreckig und schwitze. Naja, immerhin das mit den fantastischen Sportklamotten stimmt – auch wenn die im Dunkeln niemand sehen kann.

 

Eiseskälte! Aber in bester Gesellschaft.

 

Plötzlich sind es nur noch 4 Wochen! Kreisch! Panik! Laufe ich schnell, weit, intensiv genug? Sind die Bauchmuskeln stabil? Meine Psyche gefestigt, damit ich nicht an der ersten Versorgungsstation versehentlich in einen Liegestuhl gleite? Drückt mir die Daumen.

Fazit: Ich bin eine echte Ausnahmeläuferin, denn ich mache das bestimmt nie wieder. Doch mehr dazu kann ich wohl erst nach dem 8. April berichten... See you in Rotterdam and see you soon, Bonnie!

 

Lassen Sie mich durch! Ich muss 42 Kilometer laufen!

 

P.S. Die fantastischen Fotos hat natürlich Christian Siedler gemacht. Danke!