26. Juni 2019
22. Juni
What’s App von Mama: Sie schickt mir eine Reihe vorwurfsvoll dreinblickender Emojis und teilt mir mit, dass sie meinen Plan, bei Düsseldorf300 mitzufahren, nicht gutheißt. Ich schwöre, Vernunft walten zu lassen und habe sogar ein Motto für den Tag: „Kräfte sparen, regelmäßig essen und viel trinken.“
23. Juni, 5 Uhr, im Hof der Schicken Mütze
Ich tanke Espresso, greife meine prall gefüllte Startertüte ab und checke nochmal mein Handy. Mamas Emojis gucken jetzt besorgt; einige weinen. Ich soll gut auf mich aufpassen. Ehrenflamingo Martin wünscht mir „langanhaltenden Spaß“ und Maren schreibt „Vergiss nicht, du kannst alles am besten!“
Ich tippe auf den Wahoo Elemnt Bolt, den ich extra für die große Tour von Konrad leihen durfte (nochmals vielen Dank an dieser Stelle) und rolle in der milden Morgenluft Richtung Kö. Kaum ein Auto, dafür rote Ampeln und zeternde Halsbandsittiche. Bereits am Grafenberger Wald lasse ich Heiner und Ulrike ziehen und ich kurbele in meinem Wohlfühltempo weiter aus der Stadt heraus.
Knittkuhl/Wülfrath
… und Berge hinauf! Berge! Ein Paradies! Hier war ich noch nie. Vor mir steigt die Sonne langsam höher, links sattgrüne Wälder, rechts duftende Weizenfelder, Vögel jauchzen mir zu. Das ist ja wie im Urlaub! Vor lauter Begeisterung merke ich gar nicht, dass es immer wieder giftig bergauf geht.
Velbert-Langenberg
Okay, den Sender merke ich dann doch. Erstbesteigung für die Radflamingos. Warum auch nicht – ausgerechnet an dem Tag, an dem noch 247 Kilometer vor mir liegen. Und der Esel. Und der Hülser Berg.
Verpflegungsstation 1 – Cycle Café Velbert Ruhr
Kuchen, ha! Beschwingt fülle ich Wasser nach und trage mehr Sonnencreme auf. Ich habe gute Beine und ich werde sie benutzen!
Esel
I-ah! War doch gar nicht so schlimm. Und nach Geschwindigkeit fragt ja niemand. Zumindest nicht heute. Fun fact: Wusstet Ihr, dass türkische Esel „Aaah-i“ machen?
Dem Rhein entgegen
Es geht bergab mit den Radflamingos. Immer Richtung Rhein. Die Gefilde werden heimatlicher. Da vorne, müsste das nicht Duisb- oh. Essen. Mühlheim. Gut, ich habe keine Ahnung wo ich bin. Ich habe mich nicht, wie empfohlen, „intensiv" mit der Strecke beschäftigt und verlasse mich darauf, dass der Wahoo funktioniert. Macht er. Und ich folge brav den Pfeilen und genieße waldige, schattenreiche Kilometer.
Duisburg
Das einzige was hier Schatten spendet, ist… nope, kein Schatten im Großraum Duisburg. Nur supersengende Saharasonne. Bestimmt schmilzt gleich der Asphalt. Sehnsüchtig werfe ich einen Blick auf den Rahmersee, und den Rhein möchte ich am liebsten mit Bonnie durchschwimmen.
Hülser Berg
Immerhin weiß ich, wo ich jetzt bin. In einem dunklen, nicht ganz so heißen Wald. Vor einem Berg in meinem home turf. Ächzend kurbele ich hinauf. Da ich mich nicht „intensiv“ mit der Strecke beschäftigt habe, weiß ich auch nicht, dass Verpflegungsstation Nummer 2 nur 100 Meter weiter, direkt hinter dem Gipfel liegt. Ich verschnaufe lautstark auf einem Baumstamm, kippe magensiumangereichertes Wasser in mich hinein und knabbere pflichtbewusst an einem aufgewärmten Müsliriegel.
Verpflegungsstation 2 – JEDI Sports
Ach, hier ist das also, direkt an meiner Feierabendrunde! Ich räume die Platte mit den Apfelsinenspalten ab, verschlinge gierig die köstlichen Paninis, fülle mich und die Bidons mit Wasser und checke mich kurz durch: Meine Beine sind top. Das Hinterteil meckert nicht. Der rechte Nacken sticht ein bisschen. Die Hitze indes setzt meinem Kopf und meiner overall performance merklich zu.
Niederrhein
Ich fahre mit Dirk zusammen weiter. Wir plaudern angeregt, ich erkläre ihm den Niederrhein und dass es an genau dieser Kreuzung nur 2,2 Kilometer bis nach Hause sind und dass wir gerade unsere Sonntagsrunde rückwärts fahren. Gegenwind haben wir trotzdem, wie immer. Dirk spendet mir Windschatten („Gerne gemacht. Ist doch ein Teamsport!“) und ein Weilchen düsen wir, recht rasch wie ich finde, Richtung Pont. Dort lädt die wohl einzige Bank im Schatten am gesamten Niederrhein (Achtung, journalistischer Insider) zum Verweilen ein. Das ist dringend nötig, dito Nacken dehnen, Banane futtern und Wasservorräte dezimieren.
Niederlande
Ich muss wirklich alles am besten können. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich weiter trete.
Verpflegungsstation 3 - Fort Hazepoot /Café de Fossa
Ich schmeiße Bonnie entkräftet an den Zaun und robbe zur Schüssel mit den Apfelstücken und der Kühlbox mit den Sandwiches! Himmlisch! Dann reiße ich mir ein paar Kleidungsstücke vom Leib und spritze mich von oben bis unten mit dem Wasserschlauch ab.
Mühlhausen (fast zuhause!)
Bäume! Ihr Schatten reicht weit über den Wirtschaftsweg, sodass ich auf selbigem liege und versuche mich an Yoga-Nackenübungen zu erinnern. Außerdem überlege ich, ob C. mich abholen oder ob ich die sieben Kilometer bis Kempen noch selbst fahren soll. Doch ich beschließe, auf jeden Fall noch bis zum nächsten Versorgungspunkt in Willich-Schiefbahn zu radeln. Das sind nur 28 Kilometer. Ein professionell aussehendes „EnergiePowerHydroKoffein-Gel“ in mojitogrün soll mich für diesen Abschnitt puschen.
Irgendwo
Professionell my ass. Jetzt habe ich auch noch Magen. Zusätzlich zu Nacken und Hitze. Was ich erstaunlicherweise nicht habe: Hintern und Beine. Darum kurbele ich stumpf weiter. Mama hat mir inzwischen mehrere What’s Apps geschrieben: „Jetzt reicht’s aber!!“ (Schwitz-Emoji) und „Bitte steig ab!!!“ (Explodierender-Kopf-Emoji).
Verpflegungsstation 3 - Summiteers Cycles
Ich steige ab. Jetzt reicht’s. Weitere 70 Kilometer packe ich nicht. Ich wünsche Dirk viel Glück bei der Weiterfahrt und schließe mich Hans-Jürgen an, der genau wie ich nur noch auf kürzestem Weg nach Düsseldorf gelangen möchte. Das sind schlappe 20 Kilometer geradeaus. 20! Wie niedlich! Wir verirren uns nur einmal in einem Wald und tauchen aus ihm irgendwo bei Heerdt wieder auf. „Landeshauptstadt Düsseldorf“! Habe ich jemals ein schöneres Ortsschild erblickt? Den Tränen nahe schlürfe ich noch mehr Wasser und dann…
Kurz vor 20 Uhr, Schicke Mütze
…biege ich nach 250 Kilometern und gut 1.200 Höhenmetern in den Hof der Schicken Mütze ein! Genau unter dem großen „ZIEL“-Banner recke ich meine Faust in den Himmel. Alle im Hof applaudieren und johlen (so wie für alle Fahrer*innen, die hier eintrudeln)! So muss sich ein Etappensieg bei der Tour de France anfühlen, inklusive Hitzeschlacht und Bergankunft. Wenn ich mir jetzt etwas wünschen könnte, dann ein Glas Wasser mit Eiswürfeln und Zitronenscheiben. Jemand reicht mir ein Glas Wasser mit Eiswürfeln und Zitronenscheiben, kaum dass ich mich ausgeklickt habe. Angekommen! Geschafft! Glücklich!
Kudos
Düsseldorf300 war wirklich fantastisch organisiert! Vielen Dank an die Veranstalter Schicke Mütze und Cycling Club Düsseldorf.
Die tollen Fotos hat Kerstin Kortekamp von der Schicken Mütze gemacht (wenn nicht anders gekennzeichnet)! Vielen Dank, dass ich sie für den Blogbeitrag verwenden darf!
Vielen Dank auch an Dirk, Hans-Jürgen und den netten CCD-Fahrer, der extra auf mich gewartet hat, um mich an eine Gruppe heranzufahren! Ich war leider zu schlapp...