Ein Klassiker

Bild zu: Ein Klassiker

A wie Anmeldung
"Hat noch jemand Lust, beim LBL Ardennen Klassiker im August mitzufahren?", fragte Nicole Beatriz in der Rennradfrauengruppe auf Facebook. Also Lüttich-Bastogne-Lüttich! Voll cool! "Ich!", schrieb ich also und meldete mich sofort an. Danach checkte ich den Streckenverlauf: 125 Kilometer und 2200 Höhenmeter. Herr im Himmel, hilf! Schick Beinmuskeln! Und Realitätssinn, falls ich mich jemals wieder für irgendeinen Quatsch anmelden will. Ich wage keinen Rückzieher, weil ich überall herumposaune, wie sportlich ich sei. Außerdem scheinen meine Mitfahrerinnen sehr nett zu sein.

 

Wer nicht vorher lesen will, sollte Nairo Quintana sein.

 

B wie Belgien
Immerhin: meine Mitfahrerinnen Nicole, Fatma, Dani, Beatriz und Veronique sind wirklich total nett. Wir gönnen uns am Freitagabend in Lüttich (die Stadt, die auf meiner Hässlichsten-Städte-der-Welt-Rangliste den ersten Platz belegt) eine Pizza und fühlen uns wie bei einer Klassenfahrt. Aber nur bis Samstagmorgen um 6 Uhr. Dann stehen wir nämlich auf, damit wir pünktlich losrollen können.

 

Bonnie trägt vorn ein kleines Schild mit meinem Namen drauf. Ich fühle mich sehr professionell.

 

Gestern herrschten tolle Radfahrbedingungen: Bedeckt, windstill, 18 Grad. Für den Großen Tag ist eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 bis 99 Prozent angesagt, je nach Wetter-App. Um 8 Uhr stehen wir am Start, und natürlich beginnt es zu regnen. Dünne, leichte Tropfen. Aber davon viele. Und stetig mehr. Und dann eine Regenwand, die waagerecht auf uns zukommt. Aber alle tragen es mit Fassung und finden den Regen genau so bescheuert wie ich. Meine Laune ist gut, meine Füße trocken, mir ist warm, es geht sanft bergab, und die Landschaft außerhalb von Lüttich ist wirklich wunderschön. Soweit ich das durch die Dunstschwaden erkennen kann. Herrlich also.

C wie chillig ist anders
Herrlich bis Kilometer 3,4. Anstatt dass meine Füße nach und nach feucht werden, wie ich es mir ausgerechnet hatte, ergießen sich auf einmal mehrere Liter Wasser mit einem Schwall in meine Schuhe. Immerhin nicht kalt. Und meine Wind-Schrägstrich leicht wasserabweisende Jacke hält sogar noch bis Kilometer 10. Ich bin komplett nass. Jetzt ist auch alles egal. Noch 115 Kilometer. Wann kommen eigentlich diese Steigungen, vor denen ich mich so fürchte (und deretwegen ich im Toskanaurlaub aus Übungszwecken Berge unter größter Hitzschlag-Gefahr hochgeächzt bin)?

D wie demoralisierend
Oh. Hier. Ich versuche recht erfolgreich keine Schlangenlinien zu fahren. Dass ich überhaupt fahre, gleicht einem Wunder. Vielleicht doch ganz gut mit dem Wetter, denke ich. Bei Hitze bin ich zum Bergauffahren kaum zu gebrauchen. Dann geht es bergab. So ein Mist mit dem Wetter, denke ich. Einmal auf dem nassen Asphalt wegrutschen und ich bleibe länger in Lüttich als mir lieb ist.

 

Das ist ja der Gipfel! Dani, ich und die halbe Nicole freuen uns darüber sehr.

 

Die Anstiege haben eine Zeitmessung, und oben warten schon Dani und Nicole. Letztere legt eine fantastische Gesamtzeit bei den Frauen hin. Da ich ihre Strava-Aktivitäten heimlich gestalkt habe, wundert mich das nicht: "Acht mal Schweineberg hoch und runter", steht da zum Beispiel. Und sie verrät, dass ein älterer, passionierter Rennradler sie und ein paar Freundinnen ab und zu trainiert: "Hände flach auf die Bremshörnchen legen und ab, den Berg hoch! Schön aus der Hüfte arbeiten."

 

Die Folgen der Ardennenschlacht

 

An der Verpflegungsstation tropfen alle vor sich hin und frieren. Wir beschließen, abzukürzen. So richtig toll ist das nun doch nicht. Warum ich Bonnie nicht in den Graben schmeiße, "Scheißregenbergekeinbock!" brülle, erschließt sich mir nicht. Ich kurbele fast fröhlich vor mich hin, irgendwann ganz allein. Es ist alles sehr grün, und manchmal hört es sogar auf zu regnen. Und manchmal wird es sehr steil. Die Schwerkraft zieht mich am Côte de la Combe nach unten, und ich eiere in eine halbwegs ebene Hauseinfahrt, um mich panisch auszuklicken. Und zu schieben. Aber sonst geht's.

 

Nicole und Veronique lachen die Strapazen einfach weg.

 

E wie am Ende
Mein Garmin zeigt 99 Kilometer und 1800 1824 Höhenmeter an, als ich über die Ziellinie rolle. Ich bekomme eine Kappe und eine Medaille! Meine erste überhaupt. Als ich sie später C. zeige, guckt er anerkennend, glaube ich. Ich verrate ihm nicht, dass jeder eine Medaille bekam und trage sie sogar beim Abendessen.

PS. Tiersichtungen
- 1 Fuchs (tot)
- 1 Esel
- mehrere Zwergseidenhühner

Sehr nass, sehr erschöpft und ziemlich stolz.
Unser Jubel ist gerechtfertigt. Yay!