Der Weg ist das Ziel (Teil 1)

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C. und ich haben einen Fahrradurlaub eine Bikepackingtour geplant, die uns vom Niederrhein bis nach Freiburg führen soll. An einem sonnigen Julisonntag radeln wir los.

1. Etappe: Kempen - Jülich (63 km)
Die Wettermenschen haben nicht gelogen. Als C. und ich einen Tag später als geplant aufbrechen und durch Mönchengladbach rumpeln, müssen wir ständig umgewehten Ästen und zersplitterten Baumstämmen ausweichen. Wenigstens sind die taubeneigroßen Hagelkörner inzwischen geschmolzen. Auch sonst ist Mönchengladbach in jeder Hinsicht eine Zumutung – allem voran die Radwege.

Kein Fan der Stadt, kein Fan der Mannschaft. Aber "Fohlen" ist einfach der beste Name.

Unserem seelisch wie körperlichem Leiden setzt meine beste Freundin Tina mit einem fantastischen Empfang in Jülich rasch ein Ende. Sie verwöhnt uns mit eiskaltem Aperol Spritz und frischem Grillgut auf der sonnenbestrahlten Terrasse. Wir bewundern die neuen Familienmitglieder Sissy und Goldi (ein Meerschweinchenpärchen, das mit einem ähnlich großen Appetit gesegnet ist wie wir) und chillen uns durch den Abend.

Pinke Eiswürfel verwandeln alles in ein flamingogerechtes Getränk!

2. Etappe: Jülich - Monschau (71 km)
Unsere Routenführung funktioniert zuverlässig. Doch vor die Idylle des Vennbahnradwegs hat die Geografie noch einige Orte gelegt, die uns schneller trampeln lassen (ausdrückliche Ausnahme: Kornelimünster! Sehr niedlich). Abenteuerlich geht anders, doch wir genießen das ruhige Radeln auf der glatten, immer leicht bergauf führenden Bahntrasse. Aber so richtig still ist es auch nicht. Plopp! Knall! Ploppplopp! Ich lege C. meine Theorien zur Herkunft des uns begleitenden Knallens dar: Versteckte Lautsprecher! Vögel! Silvesterreste!

Diese Pflanzen haben eindeutig einen Knall. Kennt die jemand?

Meine detektivischen Fähigkeiten führen mich schließlich zu einer Pflanze, die überall am Wegesrand wuchert und deren schwarze, erbsenähnliche Früchte alle paar Sekunden explodieren. Da ich das Rätsel (glaube ich) gelöst habe, können wir beruhigt ins malerische Monschau einrollen. Die Ruhe währt so lange, bis wir erfahren, dass das Städtchen komplett ausgebucht ist. Wir diskutieren unsere Optionen genau neben einem Angebot für eine "hübsche, zentrale Ferienwohnung". Ich rufe an und exakt fünf Minuten später beziehen wir selbige mit unseren Rädern.

Das Brücken-Foto. Ein Muss für alle Monschau-Besucher.

Abermals beruhigt entspannen wir uns beim Tour-de-France-gucken und testen zum Abschluss des Tages die berühmten Senfschnitzel (Urteil: ich empfehle sie).

3. Etappe. Monschau - Arzfeld (91 km)
Es ist mörderheiß! Der Jahrtausendsommer schlägt zu. Wir kurbeln ergeben den fast ein wenig eintönigen Vennbahnradweg weiter und feiern es als Höhepunkte des Tages, wenn er uns durch Tunnel führt. Diese sind nämlich eiskalt und bundesweit wohl derzeit die einzigen Orte, an denen man sich aufhalten möchte und sollte.

Hitze am Ende des Tunnels.

Die Eifel haben wir ja mittlerweile liebgewonnen, aber ihre Kaffigkeit bereitet uns organisatorische Sorgen, sodass wir mittags im belgischen St. Vith schon unsere Übernachtungsmöglichkeit in Arzfeld klar machen. Ein Glück. Denn egal durch welchen Ort wir radeln (es sind übrigens nicht viele), in jedem denke ich dasselbe: "Sind die hier alle gestorben oder was?" In Arzfeld gibt es eine Feuerwehr, eine Kirche, einige Häuser (in einem wohnen wir in einer privaten Pension), einen Döner-Grill (dort decken wir unseren Kalorienbedarf) und einen erstaunlich großen und gut sortierten Rewe (in dem wahrscheinlich die halbe Eifel shoppt). Wir lassen dort 22 Euro für Getränke und ein Buch und sind so geplättet, dass uns weder Funkloch noch das nicht vorhandene TV stören. Wir wollen nur trinken. Und schlafen.

Etappe 4: Arzfeld - Konz (ca. 80 km)
Es geht kilometerlang bergab. Durch den Wald. So kühl. So herrlich. Als die Bäume keinen Schatten mehr spenden, merken wir, dass es noch heißer ist als gestern. Wir schwitzen uns an Enz, Sauer und Mosel entlang und sind sehr damit beschäftigt, unseren Flüssigkeitshaushalt in Schach zu halten. Die Medien berichten seit Tagen, wie wichtig es sei, nur ja genug zu trinken. Bei schattenlosen 40 Grad sinnieren wir darüber, wie wir im Vorfeld unserer Planungen getönt hatten: "Also wenn schlechtes Wetter angesagt ist, fahren wir mit dem Auto nach Südtirol und machen da ein paar Touren."

Wald. Eine überdachte Brücke. Schatten! Plus Wasserfälle. Sehr aushaltbar.

Dann sinniere ich nur noch über eisgekühlte Schorlen, Swimmingpools, schattige Waldseen, Kühlschränke und Tunnel. Wir erreichen einen Ort mit dem sensationellen Namen Igel, als ich scharf bremse und mir in Rekordzeit Schuhe und Socken von den Füßen reiße. Ein Kneipp-Becken am Wegesrand! Meine Wünsche wurden erhört! Als wir kurze Zeit später in einem hübschen Bett+Bike Hotel einziehen, bin ich erneut wunschlos glücklich: nach einer eiskalten Dusche liege ich auf dem Bett, schaue Tour de France und C. serviert mir gekühlten Riesling aus der Bar.

Etappe 5: Konz - Saarlouis (72 km)
Es ist einfach nur hot hot hot. Die Saar ist nun unser Begleitfluss, und ich freue mich auf die Saarschleife und eine Premiere – das Saarland. Da war ich noch nie. Doch zunächst müssen wir uns um Quentins Platten kümmern. Sprich: Schatten suchen, um in Ruhe den Schlauch zu wechseln.

C. tauscht den Schlauch aus und dann geschieht mir leider ein bedauerliches Missgeschick mit der Kartuschen-Pumpe.

Was reibungslos funktioniert. Hätte ich die Kartuschen-Pumpe korrekt bedient, hätte ich sogar genug Luft im Reifen gehabt. Hätte. Stattdessen gibt Quentins halbvoller Vorderreifen jetzt unschöne Schmatzgeräusche von sich, und wir schmatzen uns auf einer Bundesstraße in einen hoffentlich bald auftauchenden Ort, in dem es bitte bitte ein Fahrradgeschäft gibt. Ein Ort taucht tatsächlich auf, doch der hat leider Eifel-Format. Allerdings ist vor einem der drei bis vier Häuser ein Mann damit beschäftigt, ein Fahrrad zu reparieren. Er besitzt selbstverständlich eine Standluftpumpe, die er uns gerne leiht. So ein Glück!

Dermaßen aufgepumpt können wir den Höhepunkt des heutigen Tages in Angriff nehmen. Die Saarschleife! Der Wald, der Fluss, die Aussicht – das hat was, finde ich und trete eifrig, als es bergauf geht.

Die Saarschleife wie ich sie mir vorstelle.     Foto: Tourismuszentrale Saarland/Eike Dubois

Auch wenn ich gleich mit einem tollen Ausblick belohnt werde – als sich die Straße in eine mehrspurige, verkehrsreiche Landstraße verwandelt und noch steiler wird, wünsche ich all diesen stinkenden, lärmenden Autofahrern sehr schlimme Dinge an den Hals. Ich befürchte zudem zu kollabieren und muss schieben. Oben wartet C. und hat bad news: Wir haben soeben die Saarschleife abgekürzt und umfahren. Aggressionen und Beinahe-Kreislaufkollaps für nichts! Rage und Trauer!

Wir radeln nicht zurück, sondern runter und fahren schließlich an einem hübschen Uferradweg bis zum Schleifen-Scheitelpunkt. Als wir eine Pause machen, kommt ein älteres E-Bike-Pärchen vorbei.
"Sagen Sie, ist das dieser religiöse Weg?", fragt die Frau.
"Meinen Sie den Pilgerweg?", frage ich.
"Nein", sagt sie. "Noch katholischer."

Während wir uns weiter durch die Rekordhitze quälen, grübele ich die ganze Zeit darüber nach, was "noch katholischer" als ein Pilgerweg sein könnte. In einem Café, in dem C. und ich je einen Liter Kirschsaftschorle tanken, kommt mir die Epiphanie: ein Kreuzweg natürlich. Nur wenige Kilometer weiter nehmen wir noch einen Biergarten mit und erreichen endlich Saarlouis und damit alles, wovon wir heute träumen: Dusche, Getränke, Burger, die Übertragung der Tour und massig Eiswürfel.

P.S.
Wir finden den idealen Drehort für Horrorvideos und fühlen uns extrem europäisch. Was hat es außerdem mit dem Höllensteig auf sich? Und kühlt sich das Wetter je wieder ab? Demnächst exklusiv in Teil 2!